Liebe Unterstützende von Amnesty International und unserer Kirchheimer Gruppe,
die Organisation begeht das 60-jährige Bestehen – die Kirchheimer Gruppe das 50-jährige Bestehen – von Amnesty International und Sie haben uns mit Ihrer treuen Unterstützung in dieser Zeit begleitet!
1961: Zwei Studenten stoßen in einem Café in Lissabon auf die Freiheit an – es herrscht Militärdiktatur, sie werden zu mehreren Jahren Haft verurteilt. Als der britische Rechtsanwalt Peter Benenson davon erfährt, will er zukünftig nicht mehr tatenlos zusehen. Am 28. Mai 1961 veröffentlicht er im „Observer“ den Artikel „The Forgotten Prisoners“. Er macht auf das weltweite Schicksal politischer Gefangener aufmerksam und ruft dazu auf, mit Appellschreiben deren Freilassung zu fordern. Das Echo ist groß. Dreißig Zeitungen drucken den „Appeal for Amnesty“ nach, über tausend Menschen bieten ihre sofortige Unterstützung an. Amnesty International ist geboren.
Wenige Monate später wird auch die deutsche Amnesty-Sektion gegründet, u. a. von Carola Stern und Gerd Ruge. Die ersten Jahre waren geprägt vom Einsatz für „Gewissensgefangene“ – politische Gefangene, die lediglich ihre Meinung frei geäußert hatten. Einer davon war der Filmemacher Wolfgang Welsch. Er
war in der DDR wegen Hochverrats verurteilt worden, weil er einen kritischen Film über die Regierung plante. Seine Haftbedingungen waren brutal: Nur in Unterwäsche in eine fensterlose Eiszelle gesperrt, Tag und Nacht brennt das Licht, er droht zu erfrieren. Amnesty erfährt von seinem Schicksal, macht den Fall öffentlich, erklärt ihn 1970 sogar zum „Politischen Gefangenen des Jahres“. 1971 wird Welsch schließlich freigekauft.
Einer der berühmtesten Häftlinge, die durch Amnesty freikamen, war Wole Soyinka. Der spätere Literaturnobelpreisträger hatte in den sechziger Jahren die Militärregierung seiner Heimat Nigeria kritisiert und saß dafür fast zwei Jahre im Gefängnis. 1973 startete Amnesty die erste Eilaktion (Urgent Action). Wann immer Amnesty nun von willkürlichen Festnahmen, Morddrohungen, „Verschwindenlassen“, Folterungen oder bevorstehenden Hinrichtungen erfuhr, wurde mit Eilaktionen öffentlicher Druck auf Verantwortliche ausgeübt. Unzählige Menschen – von China bis Chile, von Syrien bis Simbabwe – konnten so im Laufe der Jahre gerettet werden.
Die Gründung von Amnesty fiel in die Zeit des Kampfes von Kolonien um Unabhängigkeit und in die Hochphase des Kalten Krieges. Die Menschenrechte wurden zum politischen Spielball zwischen den Supermächten. Um als vertrauenswürdige Organisation agieren zu können, war Neutralität das oberste Gebot für Amnesty. Noch heute ist die finanzielle Unabhängigkeit von staatlichen Mitteln ein Grundpfeiler unserer Arbeit. Zunehmend wurde Amnesty International gehört – und gefürchtet. Amnesty gab den vielen, bisher unbekannten Opfern von Menschenrechtsverletzungen ein Gesicht. In den 70er-Jahren kam die Arbeit gegen Folter und Todesstrafe hinzu. Wegen der Verdienste um die
Auch die unabhängige Aufklärung von Menschenrechtsverletzungen durch eigene Ermittlungsreisen hat im Laufe der Jahre stetig zugenommen. Amnesty-Expert_innen reisen in Länder weltweit, um sich vor Ort ein Bild der Menschenrechtslage zu machen. Die Ergebnisse werden veröffentlicht und dienen als Grundlage für Kampagnen und unsere politische Lobbyarbeit.
Kontinuierlich haben wir unser Handlungsfeld erweitert: ob um die Rechte von Flüchtlingen, gegen Rüstungsexporte oder Straflosigkeit, ob um Frauenrechte oder den Schutz vor Diskriminierung. Die Anschläge auf das World Trade Center im Jahr 2001 brachten wiederum eine neue Ausprägung von Menschenrechtsverletzungen mit sich. Auch in Rechtsstaaten schien es plötzlich legitim, im Namen des „Kriegs gegen den Terror“ zu foltern oder Gesetze zu ignorieren. Zwei Beispiele: das US-Gefangenenlager Guantánamo, dessen Schließung Amnesty von Beginn an forderte, oder die Foltermethode „Waterboarding“.
Die vergangenen 60 Jahre waren durch große politische und gesellschaftliche Veränderungen geprägt und stellten die Arbeit von Amnesty immer wieder vor neue Herausforderungen. Begonnen haben wir als Gefangenenhilfsorganisation, der Einsatz für bürgerliche und politische Menschenrechte kam hinzu, heute arbeiten wir auch zu sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Menschenrechten. Unter dem Leitgedanken „Leben in Würde“ appellieren wir an die Verantwortung von Unternehmen zur Einhaltung von Menschenrechten, setzen uns gegen unrechtmäßige Zwangsräumungen ein oder fordern aktuell einen gerechten Zugang zu Covid-19-Impfstoffen weltweit.
Nicht immer verlief die Ausweitung unseres Arbeitsfeldes auf alle 30 Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ohne Diskussionen. Denn als Organisation mit dem Selbstverständnis einer demokratischen Bewegung bestehen breite Mitbestimmungsmöglichkeiten. Manchen war Amnesty im Lauf der Zeit zu „zahm“, weil nach wie vor der Neutralität verpflichtet. Anderen wiederum auf zu vielen Gebieten aktiv.
Und wir bleiben weiter gefordert, die Welt scheint sich immer schneller zu drehen. Wir erleben, dass menschenrechtliche Errungenschaften nicht mehr selbstverständlicher Konsens sind. Populismus, rechte Hetze, Rassismus und Ausgrenzung treten offen zu Tage. Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit werden in Frage gestellt. Weltweit steht die Zivilgesellschaft unter Druck. Staaten nutzen neue repressive Gesetze, um grundlegende Rechte einzuschränken und die Arbeit von zivilgesellschaftlichen Organisationen zu behindern – Shrinking Space genannt.
Aktuell hat die Covid-19-Pandemie die Lage der Menschenrechte weltweit verschärft. Menschen, die bereits marginalisiert sind, darunter Frauen, Geflüchtete und Minderheiten, leiden besonders unter den Folgen. Zahlreiche Regierungen treiben im Schatten der Pandemie ihre autoritäre Agenda voran. Kritische Stimmen, die auf Missstände aufmerksam machen, werden unterdrückt und die Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit in vielen Ländern weiter eingeschränkt.
Durch die Digitalisierung haben sich Reaktionszeiten weltweit enorm verkürzt, gleichzeitig droht die Gefahr von (digitalen) Fake News, gegen die wir bei unserer Recherchearbeit vorgehen. Auch Amnesty erlebt vermehrt Hasskommunikation und benötigt einen erhöhten technischen Schutz für unsere Systeme. Überwachung und Zensur, Big Data, digitale Angriffe auf Menschenrechtsverteidiger_innen, Künstliche Intelligenz bedrohen die Menschenrechte von allen: Ein neues Team arbeitet deshalb bei Amnesty zu den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Menschenrechte.
Schließlich die Klimakrise: ihre Bewältigung ist auch eine große Menschenrechtsfrage. In den kommenden Jahren werden mehr Menschen davon betroffen sein, dass ihre Lebensgrundlagen bedroht sind. Menschen, die sich für Umweltschutz und Landrechte einsetzen, werden zunehmend bedroht, angegriffen und verfolgt. Sie brauchen verstärkt unsere Unterstützung. Die Weiterentwicklung der E-Mobilität sorgt für einen drastisch steigenden Bedarf an Rohstoffen. Deren Abbau wird vielerorts unter menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen betrieben.
An vielen Verbesserungen im weltweiten Menschenrechtsschutz hat Amnesty International im Laufe der 60 Jahre beigetragen. Zahlreichen Menschen konnten wir eine Stimme geben. Erst durch Ihr Engagement und Ihre finanzielle Unterstützung waren und sind diese Erfolge möglich. Wir hoffen, dass Sie uns auch auf dem weiteren Weg begleiten werden, um für aktuelle und zukünftige menschenrechtliche Herausforderungen gewappnet zu sein.
Herzliche Grüße und vielen Dank im Namen aller, für die wir uns mit Ihrer Unterstützung einsetzen konnten und können!
Die Kirchheimer Gruppe von AI:
Dr. Roswitha Alpers, Hannelore Benz, Marianne Gmelin, Renate Hirsch, Dorothea Hohler, Birgit Höß, Gerda Knorr, Barbara Nagel, Rosemarie Reichelt, Uschi Schenk, Beate Willi, Karin Zweibrücke